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Channel: Gamestories – Zockwork Orange
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Alles Ansichtssache?

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„Das ist halt meine Meinung!“ So oder Ă€hnlich wird immer wieder der schĂŒtzende Schild ĂŒber die eigenen Aussagen und Argumente gehalten. NatĂŒrlich sind davon nicht nur Diskussionen ĂŒber Spiele betroffen, sondern auch solche ĂŒber alle möglichen anderen Medien. Auf den ersten Blick scheint es in Kunst und Unterhaltung zuallererst und vor allem um die persönlichen Meinungen des Publikums zu gehen. Aufgrund der Jugend der Spielezunft, die gerade erst zaghaft mit dem Gießen eines theoretischen Fundaments begonnen hat, ist der Meinungs­schutz­faktor in diesem Feld jedoch besonders hoch.

»Mass Effect: Andromeda« beispielsweise bekam von den Spielern ebenso viele 10er-Wertungen wie 0er. Metacritic-Schnitt: 4,9. Irgendwo zwischen Überflieger und Rohrkrepierer. Vielerorts wird dieser Pluralismus im nĂ€chsten Schritt sogar gelobt: „Schön, dass es so viele verschiedene Meinungen gibt! Sonst wĂ€re es ja langweilig!“ Das ist einerseits vollkommen in Ordnung. Im privaten Raum, wo Selbstdarstellung, persönliche Erfahrung und gefĂŒhlsmĂ€ĂŸiges Mögen regieren, soll es ruhig beliebig verschiedene Ansichten geben. Sobald es aber ums BegrĂŒnden, Verteidigen und Argumentieren geht, sich also eine ernsthafte Diskussion entwickelt, sollte vom bloßen Meinen Abstand genommen und miteinander geredet werden statt aneinander vorbei. Andernfalls braucht man sich – ob als Entwickler, Kritiker oder schlicht Spielefan – gar nicht erst zu streiten.

Quo vadis, Diskussion?

Doch was dann? Wer hat denn nun recht, wenn es nicht mehr alle zugleich mit ihren teils vollkommen gegenlĂ€ufigen Aussagen sein können? An dieser Stelle braucht es letztlich spezifische und komplexe Kriterien (ein Beispiel hier) ĂŒber die jedoch an anderer Stelle noch genug zu diskutieren sein wird.

ZunĂ€chst gilt es, erst einmal die Sichtweise auf das Medium insgesamt zu objektivieren. Wobei dies nicht etwa durch die absurde Abstandnahme von jeglichen wertenden Aussagen bewerkstelligt werden sollte, sondern durch das Etablieren einer gemeinsamen Perspektive. Denn am Ende wird nur eine solche zu brauchbaren Ergebnissen fĂŒhren, die den Gesamtdiskurs voranbringen.

Beim Versuch, Spiele sodann anhand des „Wertes“ zu beurteilen, den sie dem Spieler ĂŒber ihren Lebenszyklus hinweg vermitteln, fĂ€llt sofort auf, dass es sich hier um ein inhĂ€rent subjektives Modell handelt. Schließlich verĂ€ndert sich dieser Wert – mal abgesehen von Ver­zerrungs­faktoren wie persönlichen Vorlieben, Medien­nostalgie und so weiter – allein schon anhand der jeweiligen Spiele­historie der betrachteten Person. Ein kleines Kind kann sich schon dafĂŒr begeistern, dass es eigenhĂ€ndig etwas auf dem Bildschirm hin und her bewegen kann. Erfahrenen RPG-Veteranen ringen hingegen selbst aufwĂ€ndige Open-World-Titel oft kaum mehr als ein Achselzucken ab.

In vielen Foren lassen sich solch diametrale Ansichten sogar direkt nebeneinander lesen: Da wird der neueste Ableger einer angesagten AAA-Reihe von User A mit „Macht total Spaß! Brillanter Flow! Mich stört echt gar nichts!“ beschrieben, woraufhin B unmittelbar entgegnet: „Flaches Gameplay, fade Story, technische Ungereimtheiten, 4/10 Punkten!“ Das Problem, wenn man dem Ganzen auf den Grund gehen will: Recht haben sie zunĂ€chst aus ihrer persönlichen Sicht beide.

Das Spektrum der „Game Literacy“

Um der rein persönlichen Vorgeschichte der Beteiligten etwas an Gewicht zu nehmen, braucht es also gewisser­maßen einen imaginĂ€ren Dritten als Richter, durch dessen Augen das Spiel beurteilt werden kann. Dieser muss nun auf dem oben angedeuteten Spektrum zwischen „Spiele? HĂ€?!“ und „Gestatten, Dr. Ludo – Spieleexperte“ verortet werden. Neben den beiden Extremen findet sich ein dritter un­will­kĂŒr­lich­er Ansatzpunkt in der durch­schnitt­lichen „Game Literacy“.

Dieses Konzept, das zuletzt auch durch die Video-Reihe Extra Credits aufgegriffen wurde, umfasst nicht allein den spielerischen „Skill“, sondern ebenso ĂŒber­geord­nete FĂ€higkeiten zur Analyse und Einordnung von Spielen im Kontext ihres soziokulturellen Umfeldes. Diese sind regelmĂ€ĂŸig Gegenstand des akademischen Diskurses rund um Kommunikation, Bildung und Lernprozesse in der modernen Medienlandschaft. Unter anderem haben sich Tom Apperley und Catherine Beavis in „A Model for Critical Games Literacy“ (2013) dazu einige Gedanken gemacht.

Objektivierung 1: „Mein Name ist Hase
“

Gehen wir also zunĂ€chst von einem unwissenden Richter aus. Er hat einen sehr unschuldigen Blick auf Spiele. Er kennt weder Genres noch deren Konventionen, noch ist er ĂŒbersĂ€ttigt davon, Jahr fĂŒr Jahr die immer gleichen Kernmechanismen vorgesetzt zu bekommen. Ein wenig erinnert er an Conan O’Brien in seiner Rolle als „Clueless Gamer“. Er stellt zu allem, das ihm in einem Spiel begegnet ganz grundlegend vernĂŒnftige Fragen: „Was soll das? Ist das ĂŒberhaupt interessant? Ist das eine wertvolle Verwendung meiner Lebenszeit? Warum soll ich noch 35 Tannenzapfen und 15 Kieselsteine sammeln?“

„Are we literally pushing a car through a desert? Why is this a game?“

Was er dank seines nicht ĂŒber Jahrzehnte an alle möglichen Eigenheiten des Mediums gewöhnten Verstandes gewinnt, bĂŒĂŸt er allerdings an Kompetenz mehr als ein. Er ist nicht fĂ€hig, einen Titel einzuordnen und kann nicht sagen, ob Fortschritte gegenĂŒber vergleichbaren Spielen erkennbar sind. Er muss sich das Faszinosum interaktiver Unterhaltung immer wieder von Grund auf neu erklĂ€ren, baut keine konsistente Sprache auf und ist auch nicht in der Lage, tiefgreifendere Aussagen zu treffen, die ĂŒber obige Grundfragen menschlichen Zeitvertreibs hinaus gehen.

Auch wenn der Blick durch die Brille der Ahnungslosigkeit von Zeit zu Zeit helfen kann, den Wald vor lauter BĂ€umen wieder zu entdecken, wird eine Diskussion mit dem Unwissenden in der Praxis deshalb nicht sonderlich weit oder tief fĂŒhren. Das gilt nicht nur aus Sicht von Kritikern, Designern und sonstigen Experten, sondern auch schon fĂŒr jeden interessierten Laien, der das Spielen zu seinen wichtigeren Hobbys zĂ€hlen wĂŒrde.

Objektivierung 2: Durchschnittliche Spielebildung

Schalten wir also einen Gang höher. Unser zweiter Richter ist der Durch­schnitts­gamer. Er hat eine mittelmĂ€ĂŸige Allgemein­bildung, was Spiele angeht. Er kennt sich in allen Genres ein wenig aus, aber in keinem so sehr, dass er es nicht mehr sehen könnte. Es ist davon auszugehen, dass weite Teile der Spieleindustrie sich nach diesem Stereo­typen richten. Schließlich können anhand seines Profils Vorhersagen darĂŒber getroffen werden, was einem Großteil der Spielerschaft gefallen könnte.

Allerdings zieht sich diese Bewertungsgrundlage mittlerweile auch durch die Riegen der Kritiker, die in vielen FĂ€llen durchaus auf eine potenziell grĂ¶ĂŸere Expertise zugreifen könnten, sich aber immer öfter gezwungen sehen, zwecks Klickmaximierung der breiten Masse nach dem Mund zu schreiben. Die meisten Spielewertungen – insbesondere solche sehr großer Plattformen und Magazine – sind daher oft eher Vermutungen darĂŒber, welche Spiele am Markt Erfolg haben könnten.

An dieser Stelle zeigen sich dann auch die Nachteile des Ansatzes. Zwar können wir mit unserem Durchschnittsspieler auf einem ordentlichen Niveau ĂŒber Spielmechanik, den Markt und grĂ¶ĂŸere Trends in der Entwicklung des Mediums diskutieren. Allerdings wird er sich dabei eher konservativ geben und auf Nummer sicher gehen. Er will sich lieber wohl und zu Hause fĂŒhlen, als Neuland zu entdecken. Daher wird er in aller Regel eine gut gemachte Fortsetzung mit visuellen Schauwerten einem neuartigen Indie-Titel, in den er sich erst einarbeiten mĂŒsste, vorziehen.

Automobilpionier Henry Ford wird gerne folgendes Zitat zugeschrieben: „Wenn ich die Menschen gefragt hĂ€tte, was sie wollen, hĂ€tten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Das trifft die Geisteshaltung unseres Otto-Normal-Richters ziemlich gut. Doch was, wenn wir wirklich an Innovation und Fortschritt interessiert sind?

Objektivierung 3: Wissenschaft

Hier kommt die absolute Expertensicht ins Spiel, die natĂŒrlich nicht ohne weiteres von jedermann eingenommen werden kann. Schließlich kennt sich der entsprechende Richter auf seinem Gebiet bis ins kleinste Detail aus. Deshalb wird es auch verschiedene Spezialisten brauchen – ein jeder zustĂ€ndig fĂŒr seinen eigenen abgesteckten Bereich. Sie betrachten neue Spiele, die unter ihre Expertise fallen, wie wissenschaftliche Publikationen, wie Experimente, die eine These aufstellen und diese entweder durch ihr Funktionieren beweisen oder spezifische Probleme enthĂŒllen, die sie widerlegen. Beides wird – kompetent durchgefĂŒhrt – als wertvoller Beitrag angesehen.

Donald Knuth: „We should continually be striving to transform every art into a science: in the process, we advance the art.“

Mutlose AAA-Spiele hingegen sehen diese Richter als Werke an, die den aktuellen Forschungsstand bloß wiederkĂ€uen und ihm nichts Neues hinzufĂŒgt – sprich als weitgehend wertlos. Statt ĂŒber den potenziellen finanziellen Erfolg zu mutmaßen, sind sie vielmehr daran interessiert, was „wirklich funktioniert“ und das Medium dauerhaft voranbringt. Sie werden dabei große Teile des Publikums und der Mitdiskutanten verlieren, da sie ihrer Zeit in aller Regel voraus sind und Spielsysteme aus fremd wirkenden Perspektiven betrachten.

Doch – wie an reiferen Medien zu beobachten – wird die Kunstform nur durch den geschĂ€rften Blick einiger weniger Designer, Kritiker, Akademiker und tief involvierter Hobbyisten ihre IdentitĂ€t festigen und langfristig auf zukunftsfĂ€hige Beine gestellt werden können. Nur so wird es der Industrie möglich sein, verlĂ€sslich funktionierende Spiele zu produzieren und nicht bloß im Dunkeln von einem Zufallstreffer zum nĂ€chsten zu tappen wie bisher. Wo ein „Ich sehe das aber anders!“ nicht bloß ein „Das ist ja auch voll okay!“ nach sich zieht, sondern eine grĂŒndliche PrĂŒfung des theoretischen Unterbaus der betreffenden Diskussion, wird letztlich ĂŒber die Zukunft des Mediums entschieden.

Fazit: Am Anfang steht die Objektivierung

Je nach persönlicher Intention lassen sich nun unterschiedliche Hand­lungs­empfehlungen aus all diesen Überlegungen ableiten. ZunĂ€chst einmal sollte sich jeder potenziell Urteilende darĂŒber im Klaren sein, ob ĂŒberhaupt Interesse an einem ernsthaften, progressiven Diskurs und dessen Ergebnissen besteht. Sollte dem so sein, wird relativ schnell klar werden, dass unkoordiniertes Drauflos­meinen und persönlich-emotionales WertschĂ€tzen nicht weit fĂŒhren. Stattdessen muss eine objektivierte Diskussions­grund­lage durch die kollektive Annahme einer gemeinsamen (an sich durchaus subjektiven) Perspektive geschaffen werden. Dazu ist ein Ausgangspunkt auf dem Spektrum der „Game Literacy“ zu wĂ€hlen.

Wie beschrieben wird der ahnungslose Spieler dabei auf lange Sicht kein brauchbares Modell abgeben. Bestenfalls lassen sich ihm von Zeit und Zeit einige pointierte Fragen und Denk­anstĂ¶ĂŸe abringen. Mit dem Durch­schnitts­spieler lĂ€sst sich im nĂ€chsten Schritt schon halbwegs fruchtbar, wenn auch konservativ geprĂ€gt, diskutieren. Er eignet sich zudem hervorragend fĂŒr die Zwecke der Marktforschung. FĂŒr selbige wird Experte „Dr. Ludo“ wiederum vergleichsweise wenig ĂŒbrig haben, denn ihm geht es primĂ€r um den intellektuellen Fortschritt der Kunstform Spiel.

In der Praxis wird sich fĂŒr die meisten Designer, Entwickler und Kritiker daraus eine Art „goldener Mittelweg“ zwischen den beiden letztgenannten Perspektiven ergeben. Dieser lĂ€sst sich je nach PrĂ€ferenz einerseits eher in Richtung PopularitĂ€t und finanziellem Erfolg (Objektivierung 2) oder andererseits mit Fokus auf Innovation und Forschung (Objektivierung 3) ausrichten sowie durch die gelegentliche Annahme der unbedarften Sichtweise (Objektivierung 1) verfeinern. Wichtig ist letztlich vor allem, sich innerhalb von Entwickler­studios, Redaktionen, auf Konferenzen und in sonstigen Diskussionsgruppen jeweils auf einen gemeinsamen Blickwinkel zu einigen, um sich selbst die produktive Verfolgung einer konsistenten Vision zu ermöglich.

Der Beitrag Alles Ansichtssache? erschien zuerst auf Zockwork Orange.

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Persona 5 – eine interaktive Novelle japanischer Highschool-SchĂŒler?

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Das japanische Rollenspiel »Persona 5« ist nun schon eine ganze Weile auf dem Markt (seit April 2017) und wird von vielen Seiten als „das beste Spiel 2017“ betitelt. Das wundert nicht, mussten die Fans doch 8 Jahre auf den Persona 4-Nachfolger warten und nahmen das Spiel mit hohen Erwartungen und großer Freude entgegen.

Als ich in der Oberstufe war, ging ich als AustauschschĂŒlerin ein Jahr nach Japan, lebte dort in einer Gastfamilie und besuchte die dortige Schule. Deswegen möchte ich, anstatt Story und Figuren zu erlĂ€utern, hiermit mal auf die AuthentizitĂ€t der Lebensdarstellung eingehen. Entspricht das Leben als japanischer SchĂŒler dem Leben, das uns im Spiel gezeigt wird? Mit Ausnahme natĂŒrlich von der App, die uns in das Meta-verse befördert, wo wir gegen Verzerrte Verlangen (distorted desires) kĂ€mpfen.

Im Folgenden werde ich auf mehrere Aspekte des Spiels eingehen, sodass eventuell einige Sachen genannt werden, die als Spoiler angesehen werden könnten. Also Obacht!

Die Story des Spiels

Persona 5 ist ein klassisches JRPG, in dem man die Rolle des Highschool-SchĂŒlers „variabler Name“ einnimmt. Da man einer unbekannten Frau zu Hilfe eilt, die von einem einflussreichen Mann heftigst belĂ€stigt wird, kommt es zu einem kleinen Unfall. Der Mann stĂŒrzt und verletzt sich am Kopf, woraufhin wir angeklagt und verurteilt werden. Aus diesem Grund begeben wir uns in die Obhut eines entfernten Bekannten nach Tokio, wo wir auf BewĂ€hrung ein Jahr leben werden.

Das „simple“ Leben als SchĂŒler in Japan

Unterricht ist nicht immer unbedingt spannend

Im Spiel selbst lebt man von Tag zu Tag sein gĂ€nzlich „normales“ SchĂŒlerleben. Nachdem man die Schule am Morgen besucht hat, hat man zwei Zeiten „nach der Schule“ (after school) und „am Abend“ um verschiedene Sachen zu erledigen. Jede Aktion verwendet den gesamten Timeslot, ob man nun Essen geht oder sich mit Freunden trifft. Samstags mĂŒssen wir auch zur Schule, was in Japan immer noch weit verbreitet ist. Sonntags ist theoretisch schulfrei, bekommen dennoch nur die zwei Zeitslots „Am Nachtmittag“ und „Am Abend“ zur VerfĂŒgung gestellt.

Ein genauerer Blick auf die Figur und das dementsprechende Schulleben zeigt uns einen mehr als authentischen Eindruck des Lebens eines Highschool-SchĂŒlers. Die sogenannte Oberschule geht in Japan drei Jahre und wird unterteilt in die JahrgĂ€nge eins bis drei. Die Highschool ist quasi die deutsche Oberstufe auf der man einen Ă€hnlichen Abschluss macht. Man fĂ€ngt an, wenn man um die 16 ist und mit 18 Jahren haben die meisten dann ihren Abschluss in der Tasche.

Wir befinden uns in der zweiten Klasse des zweiten Jahrgangs, was daran zu erkennen ist, dass sich unser Klassenzimmer auf der »2. Etage« des SchulgebÀudes befindet. In Japan zÀhlt man das Erdgeschoss als »1. Etage«. Jeder Jahrgang hat einen eigenen Flur auf ihrer eigenen Etage. In meiner Schule gab es pro Jahrgang insgesamt 8 Klassen, die alle nebeneinander angeortnet sind, wie wir es auch in »Person 5« sehen können.

Freunde finden ist nicht immer leicht

Dass wir uns bereits im 2. Jahrgang befinden bringt einige Konsequenzen mit sich. Auf der einen Seite haben wir die Problematik der Klassendynamik. Da wir nicht neu eingeschult werden, haben wir es schwer Freunde zu finden, was natĂŒrlich auch daran liegt, dass unser Verbrecherruf uns vorauseilt. Es liegt aber vor allem auch daran, dass eigentlich alle gemeinsam neu an die Highschool kommen und sich jeder neu kennenlernen muss. Manche sind noch aus der Junior-Highschool-Zeit befreundet, gehen aber meistens nicht weiter in dieselbe Klasse. Deshalb hatten die SchĂŒler*innen bereits ein Jahr lang Zeit, Beziehungen zueinander aufzubauen und Gruppen zu bilden. Wir sind da leider außen vor.

Als ich nach Japan ging, wurde ich mit allen Neulingen in den 1. Jahrgang gesteckt und fand dort schnell Anschluss. Ein paar Monate spĂ€ter kam ein Italiener an unsere Schule und wurde dem 2. Jahrgang zugeteilt. Es ergaben sich mehrere Probleme und er berichtete oft, dass seine MitschĂŒler*innen eher weniger mit ihm zu tun haben wollten.

Ryujis Auseinandersetzung mit seinem Track-Team

Zum Thema Freundschaften sei noch gesagt, dass sich die SchĂŒler*innen weniger außerhalb ihrer eigenen Klasse bewegen. Die engsten Freundschaften werden im sogenannten bukatsu (die außerschulische ClubaktivitĂ€t) gegrĂŒndet. Im Falle von Persona 5 geht keiner der Akteure zum Club, nur Anns Freundin Shio, die eine wichtige Rolle im ersten Fall spielt, befindet sich im Volleyballteam, welches hohes Ansehen an der Schule genießt. Ryuji ist Teil des Track-Teams gewesen, bis er durch eine Verletzung am Bein nicht lĂ€nger rennen konnte.
Bukatsu allgemein werden sehr sehr ernst genommen und viele SchĂŒler*innen kommen bereits vor dem Unterricht zur Schule um zu trainieren. Ich war zu meiner Zeit in Japan in gleich drei Clubs, was eher ungewöhnlich ist, verfolgte diese aber mehr als Hobby.

Sobald der Unterricht vorbei ist

Da sich unsere Figuren in keinem Club befinden, haben wir schon um 16 Uhr Schule aus. Nach dem Unterricht ist es fĂŒr alle SchĂŒler*innen ĂŒblich, in Kleingruppen von bis zu 5 Leuten einen bestimmten Teil der Schule putzen mĂŒssen. Ich musste mit 3 anderen MĂ€dels den letzten Flurabschnitt und die Treppen bis in die erste Etage sĂ€ubern. Nach ein paar Monaten war ich fĂŒrs Fegen und Wischen des Klassenraums zustĂ€ndig. AbhĂ€ngig von dem Prestige der Schule kann es auch vorkommen, dass eine Reinigungsfirma beauftragt wird.

Da in der Bibliothek der Schule die Uhr 16:30 anzeigt, ist es wahrscheinlich, dass auch unsere SchĂŒler*innen Putzdienst haben. Zudem haben wir am Nachmittag nur Zeit, weil wir zu keinem Club gehen. Ich fĂŒr meinen Teil fand den bukatsu interessant und lehrreich, war dafĂŒr aber auch jeden Tag erst um knapp 21 Uhr zu Hause. Das Leben einer klassischen SchĂŒlerin eben.

Die Wichtigkeit der Schuluniform

Dass das Spiel einen so großen Wert auf die Darstellung der Schule investiert liegt auch daran, dass Schule in dem Alter einfach einen essentiell großen Teil des Lebens einnimmt. Das hĂ€ngt auch eng mit der Schuluniform zusammen. Da man meist nicht direkt nach Hause fĂ€hrt oder den Luxus besitzt nah an der Schule zu wohnen, verbringt man eigentlich 80% seines Schullebens in der Uniform. Ich musste in dieser zum Beispiel mit meiner Gastmama einkaufen oder auch Essen gehen. In grĂ¶ĂŸeren StĂ€dten verbieten viele Arcades den Eintritt in Schulsachen, da man keinen schlechten Eindruck erwecken möchte und MinderjĂ€hrige wegen der Uniform auf den ersten Blick zu erkennen sind.

Was mir an Persona 5 ganz besonders gefallen hat ist, wie wahrheitsgetreu die Uniform getragen wird. Die Regeln unterscheiden sich zwar von Schule zu Schule, doch allgemein gilt, dass die Uniform gemĂ€ĂŸ der Schulordnung zu tragen sei. Das bedeutete an meiner Schule, dass der Rock das Knie zu berĂŒhren hat und die MĂ€nner ihre Jacke bis zum letzten Knopf zuzuknöpfen haben. Makoto trĂ€gt ihre Bluse dementsprechend, Ann folgt dieser Regel nicht. Zudem hat gerade Ann ihren Rock nach oben gekrempelt, damit er kĂŒrzer wird. Die anderen SchĂŒlerinnen meinten damals zu mir, dass das sexy und cool sei.

Die Figuren und ihr persönlicher Schuluniform-Style

Die verschiedenen Art und Weisen der Schuluniformen

Bei der Betrachtung von Ryuji fĂ€llt auf, dass er ein farbiges T-Shirt unter seiner Jacke trĂ€gt. Ein Vorurteil sagt, dass so etwas nur ProblemschĂŒler oder besonders aufmĂŒpfige Jugendliche machen. Das trifft auf Ryuji zu. Viele Schulen stellen den SchĂŒler*innen auch passende Cardigans, Schuhe, Taschen und KniestrĂŒmpfe, wie es auch auf der Schule in »Persona 5« der Fall ist. Taschen und Socken sind mit dem Schullogo ausgestattet und somit Pflicht. Meine Schule hatte nur die Uniform selbst, alles andere konnte zur Individualisierung genutzt werden. So trugen viele MĂ€dchen im Winter ganz bunte Pullover oder Cardigans ĂŒber ihren Oberteilen. Wenn wir noch einmal einen Blick auf Makoto werfen fĂ€llt auf, dass sie keine KniestrĂŒmpfe, sondern eine Leggings trĂ€gt. Meine Schule fand das zwar nicht gut, billigte sowas jedoch. Aber selbst im tiefsten Winter bei -10° war ich eine der wenigen, die von einer Strumpfhose Gebrauch machten.

Kleinigkeiten, die das Leben in Japan bereichern – Snacks

Gemeinsames Essen und Lernen in Persona 5
Jagariko von Calbee, einer der beliebtesten Snack fĂŒr SchĂŒler*innen

In Persona 5 haben die Entwickler auf so unglaublich viele Details geachtet, dass das Spielerlebnis fĂŒr Japaner*innen und Leute mit Erfahrungen in Japan schlicht und ergreifend ein anderes ist. Das fĂ€ngt bei Kleinigkeiten wie dem Essen von SĂŒĂŸem an. Es ist eine unausgesprochene Regel, dass zu einem Treffen jeder etwas mitbringt. Um richtig teilen zu können öffnen Japaner ihre ChipstĂŒten der LĂ€nge nach, damit nicht jeder in die TĂŒte greifen muss. Passend dazu ist einer der beliebtesten Snacks jagariko von Calbee. Diese ChipsĂ€hnlichen Stangen werden ĂŒberall verkauft und sind ein hĂ€ufiger Snack bei SchĂŒlern, das können wir auch bei Yusuke beobachten, der bei jedem Meeting auf dem Dachboden eine Packung isst.

Convenience Stores

Convenience Stores sind einfach ĂŒberall anzutreffen.

Etwas anderes, nicht zu ignorierendes, sind Convenience Stores (Kombini/Konbini). In Deutschland sind sie nicht anzutreffen und kommen originĂ€r aus den USA. Vorstellen kann man sich das wie einen Kiosk. Dort kann man alles kaufen, von Coffee-To-Go bis hin zu pornografischen Heften, sie sind 24h geöffnet, sind dafĂŒr aber auch teurer als ein regulĂ€rer Supermarkt. Es gibt mehrere verschiedene Ketten, die grĂ¶ĂŸten darunter sind Seven Eleven, Family Mart und Lawson. Persona 5 spielt mit ihrem eigenen Store, nĂ€mlich 777, auf eine dieser Ketten an. Gerade SchĂŒler*innen und Student*innen arbeiten oft dort und auch unsere Figur kann sich dort einen Nebenjob ergattern.

Japaner und baden

Das Badehaus ist in Japan ein absolutes Muss

Ohne generalisieren zu wollen, aber
 Japaner lieben es, zu baden und sie lieben Onsen, also heiße Quellen. Die meisten Haushalte haben eine große tiefe Badewanne, in der jeden Abend bei 38-42°C gebadet wird. Anders als bei uns wĂ€scht man sich nicht in der Wanne, sondern sĂ€ubert sich vorher, um im heißen Wasser nur zu sitzen, damit Körper und Geist entspannen. Wer es extravagant mag, kann in eine richtige heiße Quelle fahren oder ein öffentliches Badehaus nutzen. Ein solches befindet sich direkt gegenĂŒber unseres CafĂ©s in Persona 5. Vom Ventilator im Vorraum, bis zum Minihandtuch um die HĂŒften rum wurde es so liebevoll eingerichtet, dass ich direkt Fernweh bekam. Zu einem bestimmten Zeitpunkt fragen alle mĂ€nnlichen Mitglieder, ob man nicht zusammen baden gehen möchte. Als einzige Frau des Teams verneint Ann und geht nach Hause, obwohl BadehĂ€user traditionell geschlechtergetrennt sind. Da der Besuch im Onsen eine weit zurĂŒckreichende Tradition ist, ist es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass die Freunde es gemeinsam aufsuchen.

Jidouhanbeiki – Der GetrĂ€nkeautomat

Die klassischen jidouhanbeiki – GetrĂ€nkeautomaten in Japan.

Etwas was mich zum lauten Lachen gebracht hat, ist die Vielzahl an den GetrĂ€nkeautomaten. Sie sind in Japan ĂŒberall anzutreffen und meist stehen die Automaten nicht alleine an einem Ort rum. Das Maximum, das ich einmal angetroffen habe, waren 12 StĂŒck nebeneinander. Auch in der Schule von Persona 5 stehen um die 6 StĂŒck. Zu jeder Gelegenheit werden an den Maschinen kleine Pausen eingelegt und es gibt sie einfach an den verrĂŒcktesten Orten. Im Spiel bekommt man sogar eine TrophĂ€e, wenn man an jedem Automaten jedes GetrĂ€nk gekauft hat. In der RealitĂ€t werden an solchen Automaten nicht nur GetrĂ€nke angeboten. Am Tokioter Flughafen gab es sogar einen, an dem man Bananen kaufen konnte. An sich bleiben sie eine beliebte Einkaufsmöglichkeit, da GetrĂ€nke gekĂŒhlt sowie auch heiß angeboten werden. Und selbst oben auf dem Berg Fuji wie auch in den entlegensten Tempeln im Wald findet man immer eine jidouhanbeiki.

Hikikomori – The shut-in

(Vorsicht, hier wird ĂŒber eine neue Figur gesprochen – eventueller Spoiler)

Was mich erstaunt hat ist, dass das Spiel eine gesellschaftliche Problematik anspricht und zwar die der Hikikomori. Die Figur von der ich spreche ist Futaba. Ohne weiter auf die HintergrĂŒnde eingehen zu wollen, Futaba verlĂ€sst weder das Haus noch das Zimmer. Hikikomori zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich vor der RealitĂ€t buchstĂ€blich wegsperren und auf die GnĂ€digkeit ihrer Familie angewiesen sind, die sie weiter mit Lebensmitteln versorgt.

Futabas Zimmer, eine Darstellung eines hikikomori

Diese meist jungen Menschen isolieren sich freiwillig und aktiv selbst. GrĂŒnde kann es viele geben, oft hat es mit dem Erwartungsdruck in der Gesellschaft zu tun, den sie nicht erfĂŒllen können. Symptome kommen schleichend und fangen mit abnehmender Kommunikationsbereitschaft, dem Verlust von Freunden und zunehmender Unsicherheit an. Meist isolieren sich diese Menschen in einem einzigen Raum und verlassen diesen nicht mehr. Manche hikikomori sind in der Lage nachts ihr Zimmer zu verlassen, auch Futaba stĂ¶ĂŸt bei einem Stromausfall nachts auf die Gruppe (im Flur ihres eigenen Hauses). In Japan sind Familien mit einem hikikomori-Mitglied immer noch stark stigmatisiert und auch in Persona 5 erzĂ€hlt uns ihr Vormund nicht freiwillig von Futaba, zu allererst leugnet er ihre Existenz gĂ€nzlich.

Ich finde es gut und wichtig, dass sich die Entwickler dazu entschieden haben eine solche Figur einzufĂŒhren. Obwohl die Beweg- und HintergrĂŒnde von Futaba sich etwas von der RealitĂ€t entfernen erreicht es doch die richtige Zielgruppe. Denn hikikomori verbringen ihre gesamte Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer und gehören somit auch zu der großen Gruppe der Gamer.

Schlussendlich


Zusammenfassend hat das Spiel bei mir einen sehr nostalgischen Nerv getroffen und ich habe angefangen, mich nach Japan zu sehnen. Die Entwickler haben sehr viel Wert aufs Detail gelegt, was jedoch nicht verwundert, da die Spielefirma eine japanische ist. Selbstredend sind die gezeigten Orte und Hangout-Spots tatsĂ€chlich in Tokio existierende Orte und auch das Schulleben ist absolut authentisch, haben doch die Entwickler dasselbe Schulsystem besucht. Gerade diese Details fĂŒhren bei den japanischen Spielern vielleicht nicht unbedingt zu FreudensprĂŒngen, bei mir bewirkte es jedoch genau solche. Eine Freundin schaute mir einmal beim Spielen zu und rief ganz aufgeregt, dass das doch der Meiji-Schrein sei, den wir beide besucht hatten. Minutenlang zĂ€hlte sie Details des Schreins auf und erinnerte sich zurĂŒck an den Tag des Besuches. Und genau dieses GefĂŒhl ist es, was Persona 5 fĂŒr mich so außergewöhnlich macht.

Der Beitrag Persona 5 – eine interaktive Novelle japanischer Highschool-SchĂŒler? erschien zuerst auf Zockwork Orange.

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